Englisch braucht man, aber die Nachbarsprache eben auch!

Ein Drittel der Bevölkerung in der EU lebt in Grenzregionen. Von einer Randerscheinung könne man folglich nicht sprechen, hieß es gleich zu Beginn der Konferenz über Mehrsprachigkeit in Grenzregionen vergangene Woche in Brüssel. Nachbarn sollten miteinander kommunizieren können, doch Voraussetzung hierfür ist, dass man die Sprache des Nachbarn versteht und im besten Falle auch gut und verständlich sprechen kann. Mehrsprachigkeit ist ein Trumpf, spielen Sie Ihn aus!“, lautete der allgemeine Tenor der Konferenz "Talk to your neighbours" in Brüssel.

"Kein Mitarbeiter bei uns spricht weniger als zwei Sprachen, das geht gar nicht anders. Drei Sprachen ist bei uns im Management die untere Grenze dessen, was man mitbringen sollte. Nicht wenige meiner Kollegen sprechen signifikant mehr als nur drei Sprachen" betont Dr. Johannes von Thadden (Foto), Mitglied der Geschäftsführung der Airbus DS GmbH.

Beim europäischen Flugzeughersteller Airbus mit seinen heute etwa 135.000 Mitarbeitern aus über 80 Nationen, darunter rund 50.000 Deutsche und etwas über 50.0000 Franzosen, sei wie in anderen europäischen Unternehmen mit weltweitem Anspruch natürlich Englisch die offizielle Sprache, die jeder der Mitarbeiter neben seiner Heimatsprache beherrschen müsse. "Doch klar ist auch, dass jeder von uns, der im Ausland arbeitet, die Sprache des Landes, in dem er arbeitet, lernen muss", fährt der Manager fort.

So schicke Airbus bewusst Auszubildende beispielsweise zum Austausch von Deutschland nach Frankreich und umgekehrt. In gemeinsamen Sommerlagern, sollen die Auszubildenden "spüren können, dass eine Sprache lernen für sie einen praktischen Vorteil hat" und es sollen "Verbindungen zwischen den Menschen entstehen."

"Die Menschen müssen spüren können, dass sie damit ihre Chancen im Leben steigern und das ist, was wir in Unternehmen auch tun."

Doch von dem, was in Unternehmen wie Airbus schon lange gängige Praxis ist, ist man im öffentlichen Leben in vielen Grenzregionen in Europa noch weit entfernt.

Motivation fördern

"Man spricht ja schon seit Jahrzehnten davon, dass wir in Europa die Sprache des Nachbarn lernen und besser noch kennen müssten, aber wir sind immer noch weit von dem Ziel entfernt", betont der erste Vizepräsident des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR) und ehemaliger Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Karl-Heinz Lambertz (Foto).

Die kürzlich veröffentlichte Studie der Europäischen Kommission "Key Data on Teaching Languages at School in Europe - 2017 Edition" belegt, dass in nur drei Bildungssystemen in der EU, Sprachenlernen schon ab dem Vorschulniveau Pflicht ist: In Polen, Zypern und in der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien.

Lambertz selbst stammt aus der deutschsprachigen Gemeinschaft, einer Grenzregion im Osten Belgiens mit französischer, deutscher und niederländischer Sprachgrenze. Ich wäre nichts von dem geworden, was ich gemacht habe, wenn ich nicht auch mehrere Sprachen beherrscht hätte, sagt Lambertz. Auch er unterstreicht, wie wichtig Motivation beim Erlernen einer Sprache sei. "Menschen müssen motiviert sein, dann lernen sie eine Sprache sehr viel schneller. Also müssen wir die Begegnungsmöglichkeiten und die Situationen im Alltag richtig einsetzen." Wer mehrmals auf Grenzen gestoßen sei, weil er in einem Grenzraum die Sprache des Nachbarn nicht verstehe, werde sich sehr schnell anstrengen wollen, ist der Politiker überzeugt.

"Je jünger desto besser"

Und wer sich fragt, ob dabei nicht die Muttersprache leide, dem antwortet Lambertz: Das sei in der Tat eine Frage, bei der die Experten verschiedene Lehrmeinungen verträten, doch eines scheine sich durchzusetzen: "Je jünger Menschen Sprachen erlernen, desto besser klappt das."

Das hat offenbar auch der Freistaat Sachsen im Osten Deutschlands mit seinen Grenzen zu Polen und der Tschechischen Republik erkannt und bemüht sich daher besonders im frühkindlichen Bildungsbereich. So seien aktuell in Sachsen immerhin 50 Kindereinrichtungen entlang der sächsisch-polnischen-tschechischen Grenze zu finden, die sich dem Thema nachbarsprachige Bildung widmeten, erklärt Dr. Regina Gellrich (Foto) von der Sächsischen Landesstelle für frühe nachbarsprachige Bildung. Das geschehe auf verschiedene Art und Weise mit unterschiedlichen Modellen, sei es in grenzüberschreitenden Partnerschaften mit Kindereinrichtungen aus dem Nachbarland oder durch spielerische Nachbarsprachangebote. Auch in den Grundschulen gebe es solche Angebote im Ganztagsbereich.

Insgesamt habe sich die Zahl der Schüler, die polnisch und Tschechisch an den Schulen lernen, verdoppelt. Eine positive Entwicklung, so Dr. Gellrich. Doch sei das Erlernen von Polnisch und Tschechisch in den Grenzregionen noch lange keine Normalität und die Nachbarsprachen noch nicht überall im Bildungsprogramm in den Bildungseinrichtungen angekommen. Durchgehende Bildungsgänge für Polnisch und Tschechisch, das heiβt mit denen im frühkindlichen Bereich begonnen und die im schulischen Bildungsgang fortgesetzt werden, seien noch die Ausnahmen.

Vorbild Frankreich-Strategie

Auch das Saarland im Südwesten Deutschlands, das aufgrund seiner besonderen historischen und geographischen Lage im Drei-Ländereck in einem natürlichen multilingualen Raum deutsch-französischer Prägung verankert ist, will bei der Mehrsprachigkeit mit gutem Beispiel vorangehen. Doch auch im Saarland gebe es, wie im Freistaat Sachsen, noch viel zu tun, erklärt der Staatssekretär für Justiz und Europa sowie Bevollmächtigter für Europaangelegenheiten des Saarlandes, Roland Theis.

So hat die saarländische Landesregierung 2014 eine Mehrsprachigkeitsstrategie, die Frankreichstrategie, auf den Weg gebracht.

Ziel der Strategie ist, aus dem Saarland innerhalb einer Generation eine mehrsprachige Region deutsch-französischer Prägung zu machen. Französisch soll "als Verkehrssprache neben die Mutter- und Amtssprache Deutsch treten und von Englisch ergänzt werden", heißt es auf der Webseite der Frankreich-Strategie des Saarlandes. Das Saarland würde dadurch zum einzigen mehrsprachigen Bundesland Deutschlands.

Das beutet mehr kulturelle Offenheit bei gleichzeitigem Bewusstsein der eigenen Tradition und Chancen zur Vielfältigkeit, und da Frankreich für das Saarland einer der wichtigsten Handels- und Absatzmärkte ist, ist die Mehrsprachigkeit auch ein ökonomisches Alleinstellungsmerkmal.

Möglichst viele Menschen, Institutionen und Akteure, darunter Hochschulen, Bildungseinrichtungen, Vereine, das ehrenamtliche Engagement, Städtepartnerschaften und die Wirtschaft, müssten deshalb in das Projekt mit einbezogen werden, um es zum Erfolg zu führen, fährt Theis fort.

Bei Englisch gibt es kein Entweder-oder

Bislang sind in dem Bundesland bereits ca. 200 Kitas und Krippen bilingual. Langfristiges Ziel ist, alle Kitas zweisprachig zu gestalten. Nach dem Motto ‘mehr Sprachen, mehr Chancen‘, will das Saarland auch die Quantität der bilingualen Schulen steigern und in die Ausbildung von Grundschullehrern investieren. Langfristig sollen flächendeckend bilinguale Grundschulen geschaffen werden.

Besonders gut gelinge, die deutsch-französische Zusammenarbeit im Hochschulbereich, fügt Theis hinzu.

Um der Diskussion über den Stellenwert, die die englische Sprache dann im Saarland einnehme, vorwegzugreifen, betont der Staatssekretär, dass es hierbei nicht darum gehe, die englische durch die französische Sprache zu ersetzen. "Genauso wie es sinnlos wäre, sich in der Schulpolitik darüber zu streiten, ob wir den Kindern rechnen oder lesen beibringen, ist es auch in der Sprachenpolitik Unsinn darüber zu streiten, ob wir den Kindern Französisch oder Englisch lehren. Beides brauchen Sie in einer Grenzregion!"

Schere zwischen bildungsfernen Menschen und Hochqualifizierten geht auseinander

Allerdings, gibt Frau Susanne Höhn, Direktorin des Goethe-Instituts in Brüssel in einem Gespräch nach der Konferenz zu Bedenken, dass "die Schere zwischen bildungsfernen Menschen in unserer Gesellschaft und den Hochqualifizierten immer weiter auseinander geht. Ähnlich wie es in unserer Gesellschaft zwischen arm und reich auseinander geht, ist es auch mit der Mehrsprachigkeit."

"Wir haben eine hervorragend ausgebildete Erasmusgeneration, die vier bis fünf Sprachen spricht und dann 20 Prozent der 15-Jährigen in Europa, die Probleme mit Lesen und Schreiben haben."

Das Unternehmen Airbus rät deshalb, Zweisprachigkeit am besten gleich auf allen Ebenen zu fördern. "Wir tauschen nicht nur auf dem so genannten akademischen Niveau Mitarbeiter aus, sondern auch darunter", so der Geschäftsführer bei Airbus DS GmbH, Dr. Johannes von Thadden. "Die Zweisprachigkeit ist für jedermann." Man muss "bedarfsgerechte Formen finden, wie man Menschen mit unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichen Fähigkeiten gewinnt, dass sie die Chancen einer solchen Mehrsprachigkeit erkennen werden."

Denn: "Eine Firma wie Airbus könnte ohne diese Vielsprachigkeit überhaupt nicht überleben", heißt es bei Airbus.

Belgien hätte Vorbild sein können

Auch Belgien könnte ein Vorbild sein, doch wirft man einen Blick auf die Studie der Europäischen Kommission "Key Data on Teaching Languages at School in Europe - 2017 Edition" fällt auf, dass in einigen Ländern das Erlernen von zwei Fremdsprachen von Schülern vor Verlassen der Vollzeitschulpflicht nicht obligatorisch ist. Zu den Bildungssystemen, in denen das der Fall ist, zählt neben dem spanischen, dem kroatischen und dem slowenischen u.a. auch das Bildungssystem der französischsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Laut Studie gewährten all diese Bildungssysteme spätestens ab der Unterstufe (der unteren Sekundarstufe) wenigstens die Möglichkeit, zwei Sprachen zu lernen – bis auf die französischsprachige Gemeinschaft in Belgien.

"Einerseits ist Belgien immer ein gewisses Vorbild, weil es tatsächlich auf dem Papier ein mehrsprachiges Land ist. Es ist dreisprachig (Französisch, Niederländisch und Deutsch). Das ist sprachpolitisch verbrieft und ist doch schon mal etwas. Frankreich ist zum Beispiel sprachpolitisch ein einsprachiges Land, obwohl natürlich auch ganz viele andere Sprachen dort präsent sind", erklärt Prof. Dr. Claudia Polzin-Haumann von der Universität des Saarlandes (Foto).

"Andererseits verläuft durch Belgien eine Sprachengrenze, die sehr strikt ist und auch durchaus konfliktbelastet. Das lehrt uns aber, dass wir an dieser Sprachengrenze arbeiten müssten, anstatt uns vielleicht mit ihr einzurichten."

Man könne ja Impulse geben, so dass "man Dinge in dieser Richtung einmal aufbricht oder anders sieht und Mehrsprachigkeit wieder als Reichtum und als Atout, also als Trumpf begreifen kann."

Nachbarsprachen lernen wäre ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang, so Prof. Dr. Polzin-Haumann. "Englisch braucht man, aber die Nachbarsprache braucht man auch. Sie muss einen festen Platz im Bildungssystem haben. Das ist schon mal ein erster wichtiger Schritt, so dass man darüber auch den Kontakt zum Nachbarn nicht verliert."

                                                                                                                                                           Uta Neumann

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