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Gipfel der Städte und Regionen, denn „jede Politik ist lokal“ (Teil I)

Nur wenige Wochen vor den Wahlen im Mai dieses Jahres und kurz vor dem Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Sibiu (dt. Hermannstadt) fand in der vergangenen Woche ein Gipfel der Städte und Regionen im rumänischen Bukarest statt. Dort debattierten hunderte Vertreter von Städten und Regionen sowie europäische und nationale Führungskräfte über die Zukunft der EU und die Rolle lokaler und regionaler Gebietskörperschaften. Aus Belgien waren u.a. die Bürgermeister von Brüssel und Mechelen, mit Namen Philippe Close (PS) und Bart Somers (Open VLD), angereist. Obwohl der eine ein französischsprachiger Sozialist und der andere ein flämischer Liberaler, so ist für beide klar: Diversität ist Trumpf. Die Menschen müssen stets im Vordergrund stehen, alles andere führt zu Polarisierung.

„Jede Politik ist lokal“, heißt es zu Beginn einer Debatte zur Stärkung der europäischen Demokratie durch Bürgerbeteiligung über Städte und Regionen. Einig sind sich die Redner hier, dass diese Beteiligung strukturell aufgebaut werden müsse. „Es gibt ein ganz klares Mandat dafür, dass der konkrete und strukturierte Dialog in den Wahlkreisen (weiter-) geführt wird. Diese Verpflichtung besteht für uns und für Sie als Entscheidungsträger - und das haben wir ein wenig vergessen“, betont Luca Jahier, Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA). Das ist eine beratende Einrichtung der EU, die sich aus Vertretern von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen und anderen Interessenvertretern zusammensetzt. „Ein strukturierter Dialog ist sehr wichtig. Also wie können wir die Erfahrungen bündeln und dafür sorgen, dass sie Einfluss in den Rechtsgebungsprozess haben?“ Auch die Rechenschaftspflicht gehöre dazu. Das System müsse so aufgebaut werden, dass man in der Lage sei, einen Mehrwert zu schaffen.

„Was wir auf der europäischen Ebene machen, ist nicht genug, um eine Wirkung zu erzielen“, so Jahier. Und genau hier können die lokalen Vertreter von Gebietskörperschaften helfen.

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VRT/UNe

Mitwirkung und Partizipation junger Leute

„Die lokalen Vertreter sind einen Tacken mehr am Ohr des Bürgers“, ist die junge Sozialdemokratin Julia Jankovic überzeugt. Sie sitzt im Stadtrat von Essen und ist eine der in Bukarest geladenen lokalen Vertreter von Gebietskörperschaften in Europa. „Ein Europaabgeordneter ist zuständig für Tausende, ja manchmal Millionen Bürger. Die können natürlich nicht alles bedienen.“

„Ich habe Wurzeln im Balkan. Meine Eltern kommen aus dem Kosovo. Ich bin in Deutschland geboren und habe vor 20 Jahren (1999) mitbekommen, was es heißt, wenn Krieg ist. Meine Cousinen und Cousins waren im Kosovokrieg live dabei, haben darunter gelitten und leiden noch bis heute und ich finde diese Dimension fällt in unserer Generation – wenn man nicht selbst betroffen ist – einfach unter den Tisch. Die „EU als Friedensgemeinschaft“ begreifen doch viele heute nur als Floskel. Diesen Gedanken sollten wir aber viel mehr streuen und vor allem auch die ganzen Vorteile, die wir als junge Menschen durch die EU haben. Was es bedeutet, frei reisen oder mit dem Handy überall telefonieren zu können.“ All das könne man noch viel stärker promoten, so Jankovic.

Sie versteht deshalb nicht, dass man derzeit darüber diskutiere, wie man Informationen besser in die Bevölkerung trage, aber gleichzeitig EU-Info-Zentren wie Europe Direct geschlossen würden. „Wir hatten zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen das Problem, dass die EU die Hälfte der Europe Direct-Infozentren, von 13 auf 7 (von 11, Situation  2013-2017 auf 9, Situation für 2018-2020, Red.!), geschlossen hat.“ Dabei seien diese Informationskanäle doch so wichtig: „Viele unserer Lokalpolitiker wissen z.B. nicht, wieviel EU-Geld in welchen Projekten steckt.“

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Sie schlägt außerdem vor, in den Bildungsinstitutionen über Politik und Europa zu informieren. Viele Schüler wüssten nicht, was ein Landtag sei. Wie soll EU-Wissen transportiert werden, wenn sie nicht einmal verstehen, was auf lokaler Ebene passiere. Mehr Investition in politische Bildung und in Mitwirkungsmöglichkeiten sowie Partizipationsförderung ist ihr Lösungsvorschlag. Partizipation und Demokratie muss man leben, zum Beispiel in Form von lokalen und europäischen Projekten, die Jugendliche verwirklichen können, so Jankovic. Hier könnte sich auch die EU stärker inspirieren.

Julia Jankovic (links im Bild) und Onno Eckert (rechts im Bild)
VRT/UNe

Unterschiedliche Perspektiven

Auch der junge Landrat im Landkreis Gotha, Onno Eckert, ist nach Bukarest gekommen, um über den Tellerrand zu schauen und sich bei anderen Regionen Europas Inspiration zur Lösung von Problemen in seinem Landkreis zu holen. So habe er hier mit einem Iren über dessen Wunsch zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs gesprochen. Im Landkreis Gotha hat man den öffentlichen Nahverkehr regionalisiert und das hat jede Menge Ärger eingebracht. Besser wäre eine Organisation mit überregionaler Perspektive, so Eckert. „Das zeigt, dass die Dinge sehr unterschiedlich gesehen werden können.“

Der Bürgermeister der belgischen Hauptstadt Brüssel, Philippe Close, der als Redner zur sozialen Kohäsion und Integration in den Regionen und Städten aktiv am Gipfel teilnimmt, betont in einem Interview mit uns, dass es z.B. interessant sei, sich darüber auszutauschen, wie die verschiedenen Städte gegen Radikalismus vorgingen. „Es ist immer interessant zu wissen, wie andere es machen, weil wir sehr schnell feststellen, dass wir mit dem gleichen Problem konfrontiert sind.“

Außerdem hätten die Städte und Regionen mehr Gewicht in Europa, wenn sie sich austauschten, so Close weiter. „Man nehme nur einmal das Beispiel der Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union in Luxemburg zugunsten der Städte Paris, Madrid und Brüssel in Sachen Dieselproblematik.“ Diesen drei Städten ist es im Dezember 2018 gelungen, eine Kommissionsverordnung, die Emissionsgrenzwerte für Stickoxide festlegt, die weniger streng sind als die durch die geltende Euro-6-Norm festgelegten Grenzwerte, anzufechten.

„Ich glaube, dass die soziale Emanzipation und die Emanzipation der Städte über die internationale Schiene erfolgen“, ist Close überzeugt. „Die Stadt Brüssel ist heute nach Dubai die kosmopolitischste Stadt der Welt. Dort leben 184 Nationalitäten. In Brüssel sprechen wir alle Sprachen. Die europäische Weltoffenheit hat eine echte Zukunft und das wollen wir zeigen, vor allem in einer Zeit, in der der Nationalismus versucht, auf der internationalen Seite an Boden zu gewinnen.“

Philippe Close (links im Bild)
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Streit um Fördergelder? Mitnichten!

Wer hier nun mit einem Wettlauf oder gar Streit um EU-Fördergelder der Regionen und Städte gerechnet hat, liegt falsch. Stattdessen solidarische Worte auf allen Ebenen.

So betont der Brüsseler Bürgermeister bei einer Debatte zum Thema sozialer Zusammenhalt: „Die große Gefahr ist die Dualität zwischen einer extrem reichen, opulenten Stadt (Brüssel, Red.!) und einer Bevölkerung, in der einige extrem arm sind." In der gesamten Union drohe die gleiche Gefahr, fügt er hinzu.

Mit dem Brexit werden die europäischen Fördermittel schrumpfen. "Aber wir sollten uns nicht auf Kriege zwischen Städten und Regionen einlassen, die um Mikroprozente kämpfen. Ich hoffe, dass wir über den nötigen Sachverstand verfügen, um den jüngsten Ankünften (in der EU, Red.!) zu helfen und das Niveau der gesamten Union zu erhöhen", so der Bürgermeister auch noch.

Auf die Frage im Interview nach möglichen Kürzungen von EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) -Geldern für Brüssel, antwortet Close noch: „Der Vorteil der EFRE-Mittel gegenüber dem Europäischen Sozialfonds (ESF) besteht darin, dass es sich hauptsächlich um noch nicht getätigte Investitionen handelt. Es liegt also an uns, eine Kompensierung zu finden. Probleme gäbe es allerdings, wenn sie den Strukturfonds ESF oder etwa die Jugendgarantie kürzten.“

Der Bürgermeister von Brüssel, Philippe Close
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Closes Botschaft an die Briten in Brüssel: „Brüssel bleibt auch weiterhin Ihre Stadt!“

Eine Message für unsere britischen Freunde in Brüssel in Zusammenhang mit dem Brexit hat Close auch noch, denn von ihnen gebe es viele in der Hauptstadt: „Ich möchte ihnen noch einmal sagen, dass sie nach wie vor Brüsseler Bürger sind. Daher kommt es für mich als Bürgermeister von Brüssel überhaupt nicht in Frage, dass sie zu Bürgern zweiter Klasse werden. Sie sind Briten - sie haben diese Nationalität, viele nehmen gerade die belgische Staatsbürgerschaft an, stellen wir fest -, aber sie bleiben natürlich in erster Linie Brüsseler. Wir sind keine Brüsseler aufgrund unserer Staatsangehörigkeit, sondern wir sind Brüsseler, weil wir diese Stadt lieben und dort leben. Lasst uns daran arbeiten“, so der Bürgermeister. „Brüssel bleibt auch weiterhin Ihre Stadt!“

Veranstaltungsort: Das Parlament in Bukarest
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