Karel De Gucht: "In der Türkei herrscht starker Druck, Flüchtlinge aus dem Land zu bekommen"

"In der Türkei herrscht ein starker Druck, die Flüchtlinge, Ausländer und Migranten aus der Bevölkerung zu holen", sagte der ehemalige EU-Kommissar Karel De Gucht in der VRT-Polittalkshow „De Zevende Dag" an diesem Sonntag. De Gucht sieht darin einen der Gründe der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien. Die türkische Invasion gegen die Kurden in der Grenzregion zu Syrien berührt die Menschen weltweit.

Laut De Gucht müssten wir zurückblicken, um die ganze Situation einordnen zu können. "Ursprünglich versuchten die Amerikaner, den IS mit Milizen zu besiegen, die von der Türkei unterstützt wurden, aber sie hatten keinen Erfolg. Dann heuerten sie die kurdischen Milizen YPG an und bewaffneten sie. Damit haben sie den Konflikt unter Kontrolle gebracht. Es ist verständlich, dass sich die Kurden jetzt verlassen fühlen", so De Gucht.

Erdogan hat ein politisches Problem"

Darüber hinaus bestehe nach Angaben des ehemaligen EU-Kommissars Druck auf den türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan, wie er mit den Millionen syrischer Flüchtlinge in seinem Land umgehen soll.

"Meiner Meinung nach geht es hier nicht nur um eine Sicherheitszone", fuhr De Gucht fort. "Es ist nicht so, dass YPG - nicht, dass das Schlappschwänze wären - eine Bedrohung für das Erdogan-Regime darstellt. Das ist nicht wahr. Doch in der Türkei gibt es natürlich eine große Zahl von Flüchtlingen."

"An der Grenze zu Syrien sind es fast eine Million, im ganzen Land sind es mehr als 3 Millionen. In der Türkei herrscht also ein starker Druck, diese Ausländer, Flüchtlinge, Migranten in der Bevölkerung aus der Türkei herauszubekommen. Ich denke, das ist der eigentliche Grund, warum Erdogan diese Aktion einleitet. Nicht, weil er ein direktes Sicherheitsproblem hat, sondern weil er ein politisches Problem hat", so De Gucht.

Sanktionen gegen die Türkei?

Immer mehr europäische Länder fordern Sanktionen gegen die Türkei. Der ehemalige EU-Kommissar geht nicht davon aus, dass diese sofort eingeführt werden. "Es muss zunächst Einstimmigkeit zwischen den Ländern der EU herrschen, und ich glaube nicht, dass man die finden wird. Ich glaube nicht, dass es kurzfristig Wirtschaftssanktionen geben wird", betonte De Gucht. "Die Türkei hat auch ein Druckmittel mit den Flüchtlingen in der Hand. Außerdem ist das Land ein wichtiges Mitglied der NATO, es hat die zweitgrößte Armee der NATO.

De Gucht hält es für prioritär, zunächst diplomatischen Druck auszuüben, um den Konflikt in einem angemessenen Verhältnis zu halten, anstatt sofort Wirtschaftssanktionen zu verhängen. "Unabhängig davon, ob Sanktionen verhängt werden oder nicht, wird die Türkei ihre Offensive sowieso nicht einstellen.“

Darüber hinaus fragen sich viele Menschen, ob diese Invasion der Türkei wirklich gerechtfertigt ist. "Normalerweise ist das nach internationalem Recht nicht der Fall. Wenn man in Syrien von einem Land sprechen kann, das eine Führung hat und sein Territorium kontrolliert. Doch das ist im Moment sicherlich nicht der Fall. Wir befinden uns also in einer sehr grauen Zone, in der jeder seine eigenen Argumente hat."

Niemand hat alle Karten in der Hand"

In der Zwischenzeit hat auch US-Präsident Donald Trump der Türkei gedroht. De Gucht ist jedoch überzeugt: "Die amerikanische Diplomatie wird versuchen, den Konflikt unter Kontrolle zu halten.“

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Darüber hinaus geht der ehemalige EU-Kommissar nicht davon aus, dass die Türkei weiter ins Landesinnere ziehen wird, wo insbesondere Russland „die Schlüssel in der Hand“ hält. Die Situation ist nach wie vor sehr komplex. "Es ist nicht so, dass die Türkei alle Karten in der Hand hat, aber die USA und Russland auch nicht", schloß De Gucht.

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